TK: Was bedeutet Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen aus Ihrer Sicht? 

Prof. Dr. Kerstin von der Decken: Der Grundgedanke von Nachhaltigkeit besagt, einfach ausgedrückt, schonend mit Ressourcen umzugehen. Idealerweise sollten wir nicht mehr verbrauchen, als während derselben Zeit neu entstehen kann oder wir erwirtschaften können. Das gilt auch im Gesundheitswesen. Unsere wertvollste "Ressource" ist hier sicher der Mensch. Die Versorgung wird getragen von vielen Pflegekräften, Therapeutinnen und Therapeuten, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern oder beispielsweise auch Forscherinnen und Forschern und vielen mehr. Doch die Anzahl dieser Fachkräfte ist begrenzt. Wir merken es am bestehenden Fachkräftemangel an allen Ecken und Enden.

Eine zweite wichtige Ressource, die wir bedenken müssen, sind die Finanzmittel, die uns zur Verfügung stehen, also die Steuereinahmen und vor allem die Krankenkassenbeiträge aller Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Beiden begrenzten Ressourcen gegenüber steht ein wachsender Bedarf an medizinischen Leistungen in unserer älter werdenden Gesellschaft. Es wollen und müssen mehr Menschen im Alter versorgt werden. Es ist daher eine große Herausforderung, nachhaltig im Gesundheitswesen zu handeln. Wir dürfen künftigen Generationen keinen zu hohen Schuldenberg hinterlassen. Und wir dürfen die - endliche - Arbeitskraft aller in dem Bereich Tätigen nicht im Übermaß strapazieren. Es muss immer Zeit für Regeneration und ein Leben jenseits des Berufes bleiben.

Je mehr Daten und Analysen wir über Versorgungsnotwendigkeiten, finanzielle und personelle Ressourcen, technische Möglichkeiten, Verkehrswege etc. haben, desto besser werden sich Reformprozesse sinnvoll gestalten und auch kommunizieren lassen.  Prof. Dr. Kerstin von der Decken, Ministerin für Justiz und Gesundheit in Schleswig-Holstein

TK: Haben Sie Vorschläge, wo unser Gesundheitswesen noch nachhaltiger werden kann? 

Von der Decken: Meine Aufgabe und diejenige aller Gesundheitspolitikerinnen und -politiker ist es, nachhaltige Antworten auf das angesprochene Auseinanderklaffen von Ressourcen und Bedarf zu finden. Ein wichtiger Ansatz ist es, gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen zu schaffen. Nur dann können wir den Wettbewerb um Fachkräfte gewinnen. Das kann aber nur gelingen, wenn wir auch bereit sind, begrenzte Ressourcen zu bündeln und neue Wege zu beschreiten. Ein gutes Beispiel ist die Krankenhausreform. Nicht alle speziellen Fachrichtungen werden in Zukunft überall an jedem Krankenhausstandort angeboten werden können. Wir müssen stattdessen Synergien nutzen. Das wird auch bedeuten, dass Patientinnen und Patienten zum Teil weitere Wege in Kauf nehmen müssen.

Prof. Dr. Kerstin von der Decken

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Ministerin für Justiz und Gesundheit in Schleswig-Holstein

Aber nach den vorliegenden Erkenntnissen sind sie dazu gerne bereit, wenn die Qualität der Versorgung und damit auch der Behandlungserfolg in entsprechenden Zentren sogar höher sind. Wichtig ist mir, dass wir neben der Bündelung spezialisierter Behandlungen weiterhin eine funktionierende Grund- und Notfallversorgung auch in der Fläche, also in ländlichen Regionen, sichern. Daneben gibt es zahlreiche weitere Faktoren, die zu einem nachhaltigeren Gesundheitswesen beitragen können. Als ein Beispiel unter vielen ist die energetische Sanierung bzw. der energetische Bau von Krankenhäusern zu nennen. Der Klimaschutz und die langfristige Einsparung von Energiekosten gehören auf die Agenda. Auch damit beschäftigen wir uns beispielsweise in der Krankenhausplanung auf Landesebene gemeinsam mit den Beteiligten.

TK: Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung politischer Maßnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen? 

Von der Decken: Wenn wir am Beispiel der Krankenhausreform bleiben, so zeigen sich die Herausforderungen deutlich. Da ist zum einen die Schwierigkeit, Reformprozesse in einem System durchzuführen, in dem die Zuständigkeiten auf mehrere Ebenen verteilt sind. Der Bund ist für die Finanzierung der Betriebskosten der Krankenhäuser, die Ländern sind für die Krankenhausplanung und Investitionskostenfinanzierung zuständig. Da ist zum anderen aber auch die nicht immer einfache Akzeptanz von notwendigen Veränderungen. Auch wenn grundsätzlich alle verstehen, dass Veränderungen der Krankenhauslandschaft nötig sind, so tun sich viele doch schwer, wenn das Krankenhaus in der eigenen Gemeinde betroffen ist. Meiner Ansicht liegt die Lösung für beide Herausforderungen in einer klaren und offenen Kommunikation auf der Basis von Fakten. Je mehr Daten und Analysen wir über Versorgungsnotwendigkeiten, finanzielle und personelle Ressourcen, technische Möglichkeiten, Verkehrswege etc. haben, desto besser werden sich Reformprozesse sinnvoll gestalten und auch kommunizieren lassen.

TK: Nochmal zurück zum Aspekt des Klimaschutzes: Vor dem Hintergrund des Klimawandels können uns Hitzewellen zukünftig - auch in Schleswig-Holstein -häufiger belasten als bisher. Was plant die Landesregierung, um die Gesundheit der Bevölkerung präventiv vor den Folgen von Hitzewellen zu schützen?

Von der Decken: Wir setzen bewährte Maßnahmen fort, intensivieren diese bei Bedarf und arbeiten an weiteren. Hitzeschutz ist ein wichtiger Bestandteil in vielen Bereichen des Lebens, auch wenn wir in Schleswig-Holstein als Land zwischen den Meeren davon bislang glücklicherweise weniger betroffen sind. Zu den Maßnahmen gehören beispielsweise die Bereitstellung von Informationen und die Etablierung eines Austauschs zwischen Behörden, Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeverbänden und Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick auf den Gesundheitsschutz. Wir haben auch verschiedene Förderinstrumente, um klimafreundlicher zu bauen. Auf kommunaler Ebene sind die Sicherung von Grün- und Freiflächen oder die Schaffung von Verschattung zu nennen.

Darüber hinaus arbeiten wir als Landesregierung unter der Leitung des Umweltministeriums derzeit an einer umfassenden Klimaanpassungsstrategie. Ich will aber auch deutlich machen, dass jeder einzelne Mensch durch einfache Maßnahmen wirkungsvoll zum eigenen Hitzeschutz beitragen kann: ausreichend Trinken, Aufsuchen von Schatten oder das Tragen einer Kopfbedeckung haben uns vielleicht schon unsere Eltern beigebracht. Heute wird das auch in den Kitas thematisiert, und das ist gut so.