TK: In der Gesundheitspolitik stehen sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene viele Reformen an. Welche Themen möchten Sie gesundheitspolitisch im Jahr 2024 für die Bremerinnen und Bremer vorantreiben?

Claudia Bernhard: In der gesundheitlichen Versorgung gibt es viele wichtige Themen, die mich derzeit beschäftigen. Sei es die Krankenhausreform auf Bundesebene oder auch unsere eigene im Land Bremen. Wichtig ist, dass wir eine bedarfsgerechte medizinische und gesundheitliche Versorgung schaffen, die den Bedürfnissen der Bremerinnen und Bremer gerecht wird und die dem Fachkräftemangel in Pflegeberufen begegnet. In der ambulanten Versorgung ist es notwendig, dass wir die gesundheitlichen Ungleichheiten in den Quartieren abbauen, sei es mit kommunalen medizinischen Versorgungszentren, weiteren Hebammenzentren und Gesundheitspunkten. Medizinische Versorgung wird ambulanter und muss neu gedacht werden. Arztpraxen finden immer weniger Ärztinnen und Ärzte für die Nachfolge und haben auch mit veränderten Ansprüche an die medizinischen Tätigkeiten zu kämpfen.

Medizinische Versorgung wird ambulanter und muss neu gedacht werden.
Claudia Bernhard, Bremer Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz

Zudem muss Gesundheitsversorgung ganzheitlicher aufgestellt werden. Medizinische Behandlung über Ernährungs- und Bewegungsangebote bis hin zu einem breiten Spektrum an Gesundheitsberufen sollten an einem Ort zusammengefasst werden. Im vergangenen Jahr haben wir die Möglichkeiten zur Realisierung eines kommunalen Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) als eine Möglichkeit in Bremen prüfen lassen. Der Prüfauftrag wurde Ende 2023 mit dem Kernergebnis abgeschlossen, dass zur Etablierung eines kommunalen MVZs in Bremen eine Finanzierung nötig ist, die wir angesichts der angespannten Haushaltslage derzeit nicht umsetzen können. Aktuell prüfen wir daher andere Fördermöglichkeiten und sind mit allen Beteiligten, ob Kliniken, Krankenkassen aber auch mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen im Austausch, der die Sicherstellung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung in Bremen obliegt.

Claudia Bern­hard

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Bremer Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz

TK: Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene bewegt uns weiterhin die Krankenhausreform. Ziel der Reform ist es, die Versorgungsqualität im stationären Bereich zu verbessern und die Krankenhauslandschaft in Deutschland zukunftssicher aufzustellen. Wie bewerten Sie den bisherigen Prozess aus Bremer Sicht?

Bernhard: Die Bund-Länder-Beratungen zur Krankenhausreform sind Anfang 2023 vielversprechend gestartet und die Beteiligten haben viel Zeit und Sachverstand investiert, um die Reform voranzubringen. Dass es sich um einen komplizierten Aushandlungsprozess unterschiedlicher Interessen handeln würde, war allen Beteiligten von Beginn an klar. Das Eckpunktepapier zur Krankenhausreform konnte deshalb auch nicht viel mehr als ein Kompromiss sein. Nicht akzeptabel ist jedoch, dass wir seit über einem Jahr über Grundlagen zu Reformmaßnahmen sprechen, deren Auswirkungen wir weder strukturell noch finanziell belastbar abschätzen können.

Die Länder sind für die Sicherstellung der Krankenhausversorgung verantwortlich und kennen die regionalen Gegebenheiten am besten - der Schritt in Richtung bundeseinheitlicher Vorgaben zu Leistungsgruppen (inklusive Mindeststrukturanforderungen), zu denen sich die Länder im Eckpunktepapier bekannt haben, war deshalb schon beachtlich. Klar muss aber auch sein, dass die Länder eine gewisse Flexibilität im Handeln benötigen, um den unterschiedlichen Rahmen- und Ausgangsbedingungen vor Ort Rechnung tragen zu können. Auch müssen endlich verbindliche Regelungen getroffen werden, wie die reformbedingten Strukturanpassungen finanziell unterstützt werden.

Insgesamt bin ich skeptisch, wann und in welcher Form die Krankenhausreform kommen wird. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten muss kritisch hinterfragt werden, wie es mit der Reform insgesamt weitergehen kann.  - Die jüngste Ankündigung des Bundes, dass das Reformgesetz unabhängig von der Zustimmung der Länder ausgestaltet werden soll, stellt sicherlich keine vertrauensbildende Maßnahme von Seiten des BMG dar. Wir müssen allerdings dringend die negativen Anreizwirkungen des jetzigen Vergütungssystems überwinden und insgesamt zu einer stärkeren Konzentration von Krankenhausleistungen kommen. Sinnvolle Schwerpunkte zu bilden und eine intensive Zusammenarbeit sind Voraussetzungen für eine qualitative Versorgung, die mit weniger Personal auskommen muss. Dies wird nur gehen, wenn Einzelinteressen zugunsten eines übergeordneten Gemeininteresses zurückgestellt werden.

Wir müssen dringend die negativen Anreizwirkungen des jetzigen Vergütungssystems überwinden und insgesamt zu einer stärkeren Konzentration von Krankenhausleistungen kommen.
Claudia Bernhard, Bremer Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz

TK: Ein weiteres Thema, das auch im Gesundheitswesen immer stärker mitgedacht wird, ist das Thema Nachhaltigkeit. Als TK machen wir uns etwa dafür stark, die Nachhaltigkeit neben dem Wirtschaftlichkeitsgebot als ergänzendes Kriterium im SGB V zu etablieren. Haben Sie Vorschläge, was Bremen tun kann, um das Gesundheitswesen nachhaltiger zu gestalten? Was tut Ihre Behörde bereits in diesem Bereich?

Bernhard: Das Erfordernis nachhaltigen Handelns im Gesundheitswesen ist nicht nur ein Thema für Bremen, sondern muss von Akteuren im Gesundheitswesen auf allen Ebenen und in allen Regionen berücksichtigt werden. Daher begrüße ich eine Thematisierung im SGB V. Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte, an denen mit manchmal nur geringfügigen Änderungen im Arbeitsablauf oder geringen Investitionen die Treibhausgasemissionen von Gesundheitseinrichtungen deutlich reduziert werden können. Seien es neue Mobilitätskonzepte für die Patientinnen und Patienten in Gesundheitseinrichtungen, eine nachhaltige Ernährung und ein besseres Abfallmanagement oder die Einhaltung von Klima- und Hitzeschutzplänen bei Neubauten.

Da es schwierig werden wird, den hohen Energieverbrauch von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen maßgeblich zu reduzieren, sollten wir hier mehr über regenerative Energien nachdenken. Oft sind diese Investitionen auch betriebswirtschaftlich sinnvoll, da durch geringere Ressourcenverbräuche auch laufende Kosten reduziert werden.

TK: Seit Anfang des Jahres wird ein Modellvorhaben zur Ambulantisierung der Psychiatrie mit einer Projektlaufzeit von sieben Jahren umgesetzt. Welche positiven Aspekte erhoffen Sie sich durch das Modellvorhaben?

Bernhard: Die Vereinbarung über das Psychiatrie-Budget, das die Gesundheit Nord mit den Krankenkassen und ihren Verbänden geschlossen hat, ist ein wesentlicher Schritt zur Umsetzung einer patient:innenorientierten, flexiblen und bedürfnisangepassten sozialpsychiatrischen Behandlung. Dieses Modellvorhaben ermöglicht einen flexiblen Übergang zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Behandlungsangeboten je nach aktuellem Bedarf der Patientinnen und Patienten. Damit steht für jede Region Bremens ein Behandlungsteam zur Verfügung, das alle Behandlungsbereiche abdeckt und größtmögliche Kontinuität in der Behandlung gewährleisten kann.

Für die Umsetzung der Psychiatriereform stellt die Unterzeichnung des Budget-Vertrags einen Meilenstein dar.
Claudia Bernhard, Bremer Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz

Die wohnortnahen Behandlungen, also Behandlungen durch das Bravo-Team (Abkürzung: Bremen ambulant vor Ort) im häuslichen Umfeld werden durch das Modell gestärkt werden - ein strukturelles Kernelement des Modellvorhabens ist die Implementierung von Bravo-Teams in jeder Region von Bremen. Für die Umsetzung der Psychiatriereform stellt die Unterzeichnung des Budget-Vertrages einen Meilenstein dar.